Fließgewässerschutz |
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Geschrieben von Martin Schoder | |
18. 12. 2007 | |
Fließgewässerschutz in Thüringen
Vorsorgender, naturnaher Hochwasserschutz
Nach langandauernden und heftigen Niederschlägen in Thüringen stiegen im April 1994 die Pegel fast aller Flüsse drastisch an. Es kam so zu starken Überschwemmungen, dass in 18 Kreisen Thüringens die höchste Alarmstufe ausgerufen werden musste. Das Aprilhochwasser 1994 ist kein Einzelfall. Bereits mehrfach traten in den letzten Jahrzehnten große Hochwasser auf. Die Jahreszahlen 1947, 1954, 1981 und 1982 stehen für derartige Ereignisse, und eines ist gewiss: Auch in Zukunft werden sich große Hochwasserereignisse nicht vermeiden lassen. Wie entstehen Hochwasser? Naturereignis Hochwasser Hochwasser und die damit verbundenen Überschwemmungen sind Naturereignisse und als solche wichtige Bestandteile des natürlichen Wasserkreislaufs. Im Allgemeinen sind Hochwasser eine Folge von Stark- und Dauerniederschlägen, manchmal auch in Verbindung mit der Schneeschmelze. Dies war auch bei dem größten Hochwasserereignis in jüngerer Zeit in Thüringen (April 1994) der Fall. Die schmelzwassergesättigten Böden und hohen Grundwasserstände verstärkten den flächenhaften Abfluss der Niederschläge. Neben der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Niederschläge wirken sich u. a. auch Bodenbeschaffenheit, Bewuchs und Geländeneigung sowie der Zustand der Wasserläufe und ihrer Auen durch ihr jeweiliges Wasserspeichervermögen auf das Ausmaß eines Hochwassers aus.
Wasserrückhalt im Einzugsgebiet Böden haben je nach ihrer Beschaffenheit eine unterschiedlich starke Speicherwirkung. Im Allgemeinen ist die Speicherkapazität von humosen, lehmigen Böden mit einer großen Bodenmächtigkeit am höchsten. Ist die Wassersättigung eines Bodens erreicht oder die Aufnahmekapazität durch Bodenfrost eingeschränkt, dann kommt es zum beschleunigten Abfluss direkt in die Oberflächengewässer. Auf geneigten Flächen ist dabei die oberflächennahe Abflussbildung stärker als auf ebenen. In den Winter- und Frühjahrsmonaten hat das Aufnahme- und/oder Abgabevermögen der Schneedecke entscheidenden Einfluss auf die Hochwasserentstehung. Auch die Speicherwirkung des Bewuchses kann je nach Vegetationsform sehr unterschiedlich sein. So hält der Wald mehr Wasser als Grünland zurück und Grünland mehr als Acker.
Hochwasserretention in den Auen Eine weitere sehr wichtige Speicherfunktion haben die Fließgewässer und ihre Auen. Natürliche Bäche und Flüsse haben in der Regel ein strukturreiches, breites und flaches Gewässerbett. Das Hochwasser ufert schon frühzeitig weit in die Aue aus und staut sie ein. Die Strömungsgeschwindigkeit wird dabei durch die natürliche Rauhigkeit (z. B. Gehölze, Geländeunebenheiten) gebremst, sodass das Hochwasser nicht auf schnellstem Wege abfließt, sondern eine Zeitlang in der Gewässeraue verbleibt. Durch dieses sogenannte Hochwasserretentionsvermögen der Auen wird der Abfluss verzögert und die Höhe der Hochwasserwelle gedämpft. Unter diesen natürlichen Bedingungen haben Hochwasser eine weniger zerstörerische als gestaltende Kraft, da sie ständig neue gewässer- und auetypische Strukturen schaffen: Ufer brechen ab, Anlandungen am Gleitufer, Überschwemmungstümpel entstehen, Bäche verlegen ihren Lauf und Altwasser entstehen. Viele seltene Pflanzen- und Tierarten haben sich an die wiederkehrenden Überschwemmungen angepasst und sind auf sie angewiesen.
Hausgemachte Verschärfung? Hochwasser werden zwar zu einem großen Teil durch natürliche Prozesse hervorgerufen, doch auch der Mensch hat einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf das Hochwassergeschehen.
Einschränkung des Hochwasserretentionsvermögens der Auen Viele Gewässerauen wurden in der Vergangenheit zum Zweck einer intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung hochwasserfrei- und trockengelegt. Die Abflusskapazität der Gewässerbetten wurde durch tiefe Profile und gerade, verkürzte Laufführungen deutlich erhöht.
Flächenversiegelung Die Zunahme der Flächenversiegelungen und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt werden oft nur wenig beachtet. Der Hauptgrund dafür ist, dass es sich bei der Versiegelung um einen schleichenden, aus vielen kleinen Einzelbaumaßnahmen bestehenden Prozess handelt.
Nicht standortgerechte Nutzungen Bei nicht standortgerechter Nutzung im Einzugsgebiet eines Gewässers kann der Bodenspeicher geschädigt und damit der Oberflächenabfluss erhöht werden. Vor allem das Bearbeiten von schweren Böden (hoher Tonanteil) im vernässten Zustand kann zu erheblichen Bodenverdichtungen führen, die das Versickern des Niederschlagswassers stark beeinträchtigen. Aber auch Grünlandumbruch und Waldrodung auf erosionsgefährdeten (abschwemmungsgefährdeten) Standorten sowie Perioden, in denen das Ackerland brach liegt (Schwarzbrache) führen nachweisbar zu einem erhöhten Abfluss. Besonders gefährdet sind die Böden der Auen. Sie wurden von ihrer vielerorts großflächigen Entwässerung vorwiegend als Extensivgrünland genutzt. Dabei wurde der Wasserhaushalt der Fließgewässer nur wenig beeinträchtigt. Erst durch die Begradigung und Tieferlegung der Gewässerbetten und der dadurch bedingten Absenkung der Grundwasserstände wurde die Nutzung als Acker- und Bauland möglich. Durch die veränderte Nutzung aber auch durch die Einebnung der Geländeformen ist die Speicherleistung der Landschaft deutlich gesunken.
Ausbreitung der Siedlungen in den Auen Hochwasserschäden entstehen vor allem durch die Nutzung hochwassergefährdeter Gebiete. Je intensiver ein Überschwemmungsgebiet genutzt wird, desto größer ist das Schadenspotenzial. In den letzten Jahrzehnten haben sich Siedlungs-, Gewerbe- und Verkehrsflächen weit in die Gewässerauen hinein ausgebreitet. Gebiete, die durch die Vorgängergenerationen im Bewusstsein der regelmäßigen Flächenüberflutung freigelassen wurden, sind im Zuge des gestiegenen Siedlungsdrucks zu günstigem Bauland geworden. Tritt nun ein Hochwasserereignis auf, sind die Schäden hoch.
Hochwasserschutz und natürlicher Wasserrückhalt Das Naturereignis Hochwasser lässt sich nicht abschaffen, aber die menschlichen Einflüsse auf den Hochwasserabfluss können zum Teil wieder rückgängig gemacht werden. Der vorsorgende Hochwasserschutz nach heutigem Verständnis zielt daher auf eine ökologisch ganzheitliche Betrachtungsweise ab. Kernstück bildet die Erhaltung und Wiederherstellung des natürlichen Wasserrückhaltes in der Fläche und in den Gewässersystemen, um damit den Wasserhaushalt auf natürliche Weise auszugleichen und die Abflussspitzen zu senken. Dieser Ansatz ist auch dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) § 1a Abs. 2 zu entnehmen: „Jeder ist verpflichtet, ... die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt anzuwenden, um ... die Leistungsfähigkeit des Wasserhaushaltes zu erhalten und um eine Vergrößerung und Beschleinigung des Wasserabflusses zu vermeiden.“ Der Einfluss des natürlichen Wasserrückhaltes auf die Schadenshöhe im Hochwasserfall ist jedoch begrenzt. Maßnahmen des technischen Hochwasserschutzes, wie der Bau von Deichen, Mauern und Rückhaltebecken, werden also auch in Zukunft erforderlich sein, um den Schutz der Bevölkerung und ihrer Sachgüter so weit wie möglich zu gewährleisten. Deiche und Mauern schützen ausgewählte Bereiche (vor allem Siedlungen) vor dem Eindringen des Hochwassers. Hochwasserrückhaltebecken dagegen haben den Zweck, einen Teil des Abflusses vorübergehend im Gewässerlauf bzw. im Nebenschluss des Gewässers zurückzuhalten, um so die Abflussspitzen zu verringern.
Gewässerentwicklung und Hochwasserretention Die Fähigkeit naturnaher Fließgewässer und Auen, Wasser bei hohen Abflussmengen zurückzuhalten (Hochwasserretention), kann einen wichtigen Beitrag zum Hochwasserschutz leisten. Voraussetzung dafür ist, dass ausreichend Retentionsräume zur Dämpfung der Hochwasserspitzen zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund sollen Überschwemmungsgebiete ausgewiesen werden. Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) § 32 Abs. 2 legt dazu dar: Nach den Regelungen des Thüringer Wassergesetzes (ThürWG § 80) wird bei der Feststellung der Überschwemmungsgebiete im Regelfall ein Hochwasserereignis zugrunde gelegt, mit dem durchschnittlich einmal in 100 Jahren zu rechnen ist (HQ 100).
Entsiegelung und Versickerung Ein nicht unerhebliches Potential zur Reduzierung des Oberflächenabflusses besteht in der Beseitigung von Bodenversiegelungen. Häufig können Innenhöfe, Verkehrsinseln, Garageneinfahrten und andere Flächen entsiegelt werden, ohne dass dabei die urbanen Siedlungsansprüche maßgeblich beeinträchtigt würden. Dort, wo eine Befestigung des Bodens nötig ist, können durchlässige Materialien, wie Rasengitter und Fugenpflaster eine Alternative zu Asphalt und Beton darstellen. Regenwasser sollte stets dort versickern können, wo es anfällt. Ist dies nicht möglich, stellt die dezentrale Versickerung eine gute Möglichkeit dar, um die Ableitung über die Kanalnetze zu reduzieren. Jeder Grundstücksbesitzer hat darüber hinaus die Möglichkeit, das Niederschlagswasser seiner Dach- und Hofflächen in den Garten zu leiten, dort zu versickern oder auch zum Gießen zu verwenden. Eine weitere Möglichkeit stellt die Verwendung von Dachablaufwasser für das WC dar. Gerade in Neubaugebieten müssen überflüssige Versiegelungen und Ableitungen über das Kanalnetz von vornherein vermieden werden. Bereits bei der Planung sollten die Möglichkeiten der dezentralen Versickerung und Bewirtschaftung voll ausgeschöpft werden. Dies macht sich auch bei den Kosten für Wasser und Abwasser positiv bemerkbar.
Standortgerechte Landnutzung im Einzugsgebiet Die Wasserrückhaltung und -speicherung im Einzugsgebiet der Gewässer kann durch erosionshemmende Maßnahmen verbessert werden. Neben dem Oberflächenabfluss wird dabei auch der Eintrag von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln in die Fließgewässer verringert. Die standortgerechte Landnutzung wirkt sich also in mehrfacher Weise positiv auf das Ökosystem Fließgewässer aus.
Kein weiteres Bauland in den Überschwemmungsgebieten Kein Hochwasserschutz kann soweit reichen, dass jegliche Gefährdung beseitigt wird. Auch der Bau von Stauanlagen, Deichen und Mauern kann keinen vollkommenen Schutz bieten, denn jeder technische Hochwasserschutz wird auf einem bestimmten Hochwasserstand bemessen. Bei darüber hinaus gehenden Hochwassern werden auch die geschützten Gebiete wieder unter Wasser gesetzt. Es ist Aufgabe der Städte und Gemeinden, die Flächennutzungs- und Bebauungspläne in den Auen zu überdenken und in Anbetracht potenzieller Hochwässer keine weitere Baugebiete in den Überschwemmungsgebieten auszuweisen. Sollte dies bereits erfolgt sein, ist auf hochwasserangepasste Bauweisen und die Verwendung von wasserfesten Baustoffen zu achten.
Ökologische Auennutzung Die Erhaltung und Wiederherstellung der Auen als Rückhalte- und Speicherräume ist an eine extensive Nutzung der Auenböden gebunden. Intensive Bewirtschaftungsformen (z. B. Ackerbau, Intensivweide) sind mit der Belassung von Hochwasserretentionsflächen nicht vereinbar. Aufgrund ihrer periodischen Überflutungen und der hohen Grundwasserstände ist die standortgerechte Landnutzung in der Aue das Extensivgrünland. Auf Grünlandstandorten kann sich das Hochwasser einstauen und wieder abfließen, ohne größere Schäden anzurichten. Darüber hinaus ist das Grünland aufgrund seiner hohen Speicherfähigkeit als Retentionsraum bei Hochwasser von großer Bedeutung. Es sollte daher Ziel sein, eine möglichst weitflächige Wiesen- und Weidennutzung in den Auen wiederherzustellen. Die natürliche Vegetation der Gewässerauen ist der Auwald mit einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Auwaldtypen. Sie gehören zu den artenreichsten der einheimischen Wälder, doch es gibt sie bei uns nur noch in kleinen Restbeständen. Durch die natürliche Sukzession von Auwäldern würden leistungsstarke Hochwasserretentionsflächen geschaffen und unsere Landschaft durch wertvolle Biotope bereichert werden.
Zusammenfassung Hochwasser hat es immer gegeben, sie sind die Folge extremer Niederschlagsereignisse und Teil des natürlichen Wasserkreislaufs. Unzweifelhaft ist, dass der Mensch durch seine zahlreichen Eingriffe in den natürlichen Wasserkreislauf eine Verschärfung der Hochwasserereignisse bewirkt hat. Durch die beschleunigte Hochwasserableitung in den Gewässeroberläufen, die zunehmende Flächenversiegelung in den Ortschaften, die Umwandlung von Dauergrünland in Ackerland, Bebauung der Überschwemmungsgebiete und die Ausdeichung von Gewässerauen haben wir auf die Erhöhung der Abflussspitzen hingewirkt. Die Hochwasserschäden haben sich vermehrt. Das Hochwasser ist zwar als Naturereignis zu akzeptieren, doch die Einflüsse des Menschen auf das Hochwassergeschehen können in Thüringen vermindert werden. Die Erhaltung und Nutzung des natürlichen Wasserrückhalts ist daher, wo immer möglich, ein ökologisch sinnvoller Weg, um die Hochwasserwellen wieder auf ihr natürliches Maß zu dämpfen. Ergänzend hierzu können Verhaltens- und Risikovorsorge den Schaden im Hochwasserfall reduzieren helfen.
Quelle: Thüringer Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt
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Letzte Aktualisierung ( 21. 07. 2008 ) |
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