Tiemeroth der Jüngere, Johann Heinrich – Botaniker, Pflanzenmaler |
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Geschrieben von Detlef Tonn | |
29. 11. 2016 | |
Erste naturgetreue Pflanzendarstellungen für Thüringen - er malte ein umfangreiches Herbarium zur Flora von ThüringenIn ihren Werken untrennbar miteinander verbunden: die wegbereitenden Floristen des 18. Jahrhunderts in Thüringen H.B. Rupp (→ Beitrag ) & J.H. Tiemeroth d.J. Tiemeroth ergänzte basierend auf Rupps Flora Jenensis (2. Aufl. 1726) diese durch seine bis dahin genauesten farblichen Darstellungen von selbst aufgefundenen Pflanzen der heimischen Flora. * 20. April 1699 Erfurt Über ihn war bis in unsere Zeit kaum etwas bekannt – ein fast vergessener Vertreter des 18. Jahrhunderts. Und das völlig zu Unrecht, denn sein erhalten gebliebenes Werk macht uns heute staunen. Immerhin ist er bereits im Universal-Lexikon von 1745 zu seiner und des Vaters (!) Lebzeit, nach dem Vater und mit dessen identischen Namen aufgeführt: „Tiemeroth oder Tiemroth, (Johann Heinrich) der Artzeneykunst Doctor, gebohren zu Erfurt den 20 April 1699. Sein Herr Vater war [richtig: 'ist, denn zum Druckzeitpunkt 1745 lebte der Vater noch] der vorstehende Johann Heinrich Tiemeroth, Assessor und Professor der Philosophischen Facultät und des Gymnasiums daselbst Rector, wie auch Pastor zu St. Michael. Er hat auf verschiedenen Academien studiret, und hat die Würde eines Doctors der Artzeneykunst auf seiner väterlichen Academie im Jahr 1723 erhalten. Blühendes Jena 1733, p.45“ (Zedler 1745)
Die heute verwendeten Namensanhänge „der Ältere (d.Ä.)“ resp. „der Jüngere (d.J.)“ zur Unterscheidung von namensgleichem Vater und Sohn waren zu ihrer Zeit noch nicht gebräuchlich. Auf der Suche nach Druckwerken finden sich dann zu „J.H.Tiemeroth“ auch einige Titel, wobei als einzigster unter ihnen die knappe Dissertationsschrift mit lediglich 16 Seiten von 1723 dem Jüngeren zuordnen lässt. Alle sonstigen Veröffentlichungen sind Poetik- oder geistliche Traktate des Vaters, die über dessen Lebenszeit verteilt bis in die 1750er Jahre erschienen. Aufschluss über das Werk von J.H. Tiemeroth d.J. konnten in erster Linie zwei glücklicherweise in großen Sammlungen und gutem Zustand erhalten gebliebenen Konvolute von Blättern in Folioformat sowie einige Manuskripte geben, die in die Obhut zweier Museen gelangt sind. Es handelt sich dabei um die umfänglichen und weitgehend vollständig gebliebenen Privatsammlungen zwei Jenaer Professoren und Zeitgenossen Tiemeroths, die Sammlung Hamberger, nach 1945 bis heute aufbewahrt in der Graphischen Sammlung des Mainfränkischen Museums Würzburg, sowie die Sammlung Kaltschmied, die in Thüringen verblieben ist und sich seit den 1950er Jahren in der Bibliothek des Naturhistorischen Museums im Schloss Heidecksburg Rudolstadt befindet. Aber auch die öffentliche Verwahrung bedeutender Werkbestandteile seit Mitte des 20. Jahrhunderts führte lange nicht zu einer Popularisierung ihres Schöpfers Tiemeroth. Dies änderte sich erst nach der Jahrtausendwende wesentlich. Der Zoologe Dr. Eberhard Mey, seit 1983 Kustos des Naturhistorischen Museums auf der Heidecksburg, entdeckte kurz nach Amtsantritt die Sammlung mit Tiemeroths Pflanzenbildern und war beeindruckt. Das Fehlen einer Gesamtdarstellung zu Tiemeroth sollte ein Ende haben. Nach schwieriger Spurensuche und vielen neuen (noch) unbeantwortet gebliebenen Fragen konnte Dr. Mey 2011 die erste grundlegende Abhandlung über Leben und Werk J.H. Tiemeroths d.J. vorlegen, die mit 37 eindrucksvollen Pflanzenbildern aus der Kaltschmied-Sammlung, prachtvoll ausgestattet ist (s. Quellen). Im selben Jahr konnte die Heidecksburg Rudolstadt mit der ersten großen Personalausstellung „Herbaria picta - Pflanzenaquarelle von Johann Heinrich Tiemeroth d.J. (1699-1768)“ aufwarten. In einer zweiteiligen Gemeinschaftsschau konnten jeweils 80 Pflanzenaquarelle aus den Sammlungen in Würzburg und in Rudolstadt präsentiert werden. Auch wenn man damit nicht gleich einen großen Bekanntheitssprung von Tiemeroth d.J. erwarten sollte; eine Initialwirkung nach über 200 Jahren des Vergessens war dem Doppelereignis 2011 schon beizumessen. Sein Name ist die Entdeckung zu den namhaften Floristen Thüringens der letzten Jahre. Als Erstgeborener in einer angesehenen kirchlich-akademischen Erfurter Familie erhielt er den vollständigen Namen des Vaters. Dieser war Professor für Poesie, Geographie und Geometrie am Evangelischen Ratsgymnasium, daneben Diakon an der Michaeliskirche, von deren Gemeinde er 1706 einmütig zum Pfarrer gewählt wurde. Ab 1713 kam eine Professur der Mathematik und Philosophie an der Universität Erfurt hinzu. Also ein Mann von hoher universeller Bildung, Einfluß und Sendungsbewusstsein. Sohn Joh. Heinrich sollte dann dem Vater im wissenschaftlichen Streben nachfolgen und so stellte er von Anbeginn höchsten Ansprüche an die Unterrichtung und Förderung seines Knaben. Das blieb bis zum Abschluss der umfangreichen Hochschulausbildung des Filius so, jeder neue Abschnitt im Studium wurde vom Vater nach dessen Vorstellungen gelenkt, dem Studiosus den höchsten nur erdenkliche Wissensvermittlung der Zeit angedeihen zu lassen. Dieser besuchte zunächst die Michealisschule und das Evangelische Ratsgymnasium, beide im unmittelbaren Einflußbereich des Vaters befindlich, und erhielt Privatunterricht bei ausgewählten Lehrern.
Von 1717 an studierte er in Jena, Helmstedt, Halle und Leipzig Medizin als Hauptfach und daneben Grundlagen in Philosophie, Theologie, Altsprachen, Mathematik und Botanik. 1717 hörte er in Jena Botanik bei Prof. Johann Adam Slevogt (1653-1726). Gleiches gilt auch für Heinrich Bernhard Rupp (1688-1719), der von Slevogt unterstützt wurde; und in jenem Jahr das Manuskript für seine Flora Jenensis aus Not an einen Mitstudenten verkaufen musste. Dieses Werk sollte später das Wirken Tiemeroths maßgeblich bestimmen, der seinerseits das Werk Rupps vervollständigte. Denn das, voran es Rupp fehlte, an einem Herbarium, lieferte Tiemeroth über mehr als drei Jahrzehnte mit seinem gemalten Herbarium nach. Die zweite verbesserte Auflage der Flora Jenensis von 1726 diente ihm dabei als Bestimmungsgrundlage. Leider fanden diese beiden bedeutenden Werke nie in einer gemeinsamen Herausgabe zusammen. Es wäre wünschenswert, wenn dies von kompetenter Seite in einer auf der Höhe heutiger drucktechnischer Möglichkeiten der farblichen Wiedergabe der Pflanzenaquarelle in einer bibliophilen Faksimile-Ausgabe nachgeholt werden könnte. Das setzte allerdings eine umfangreiche Erforschung des überlieferten Tiemerothschen Werkes und seiner Verbindungen zur Flora Rupps voraus. Bei seinen vom Vater initiierten Studien in Niedersachsen, der Medizin wegen, lernte Heinrich in Helmstedt Brandan Meibom (1678-1740), seit 1717 Prof. für Botanik und Direktor des Botanischen Gartens kennen, und er war im berühmten Garten von Schloss Schwöbber mit der seinerzeit größten Pflanzensammlung Europas und der Orangerie mit ihrer Ananaskultur von der Artenvielfalt der dort zu sehenden exotischen Ananas fasziniert. Hier fand er die Anregung für sein späteres Dissertationsthema. Von seinem Vater beharrlich auf seinem akademischen Ausbildungsweg geführt und sicherlich entsprechend finanziert, versuchte sich Dr. Tiemeroth in Jena einige Zeit als Privatdozent für Medizin / Botanik, um letztlich doch für sich zu konstatieren, dass der Lehrbetrieb an der Universität nicht seinen Vorstellungen entsprach. Er verließ 1735 Jena, kehrte aber nicht nach Erfurt zurück, sondern wandte sich nach Arnstadt, wo er bis zu seinem Tod lebte. Wir können hier nur vermuten, was ihn dazu bewog: Unabhängig vom Vater zu sein, auch oder gerade wegen des Verzichts auf dessen vielfältige Beziehungen und finanziellen Rückhalt.
In Arnstadt war Tiemeroth als praktischer Arzt tätig. Daneben verfolgte er – man kann es Leidenschaft nennen – das Botanisieren und Malen von Pflanzen und ihren Teilen. Es handelt sich dabei um eine wissenschaftlich fundierte weitgehend in Größe, Form und Farbigkeit naturgetreue Wiedergabe „ad vivum exactem“ der aufgefundenen bzw. gesammelten Pflanzen. Bereits in Erfurt und Jena hat er sich mit der Pflanzenmalerei beschäftigt und darin sein besonderes Talent entdeckt. Sein Lebenswerk soll über 5.000 Pflanzenaquarelle umfassen, wovon etwa die Hälfte in zwei großen Sammlungen erhalten blieben, während der Verbleib einer großen dritten Sammlung unbekannt ist. In der Öffentlichkeit trat Tiemeroth mit seinem umfangreichen Werk kaum in Erscheinung. Die Blätter waren Auftragswerke meist innerhalb von sich ablösenden Abonnements von Professoren, die er während seiner Studienzeit persönlich kennengelernt hatte. Die begehrten floristischen Darstellungen verschwanden in deren Privatsammlungen, wobei auch eine Verwendung als Anschauungsmaterial im Unterricht in Betracht zu ziehen ist. Eine Ausnahme bildete der Bankier Daum in Potsdam, der zu seinen treuesten Kunden zählte. Tiemeroth hatte ein weitgespanntes Netzwerk mit Verbindungen zu zahlreichen Wissenschaftlern aufgebaut, zu denen noch die des Vaters in Erfurt kamen. Diese Beziehungen nutzte er auch, jedoch allein für den Vertrieb seiner Blätter. Von dem Ziel einer einkommenssichernden Lebensstellung an einer Universität oder ähnlichen Einrichtung hatte er sich bereits verabschiedet. Er sah die Erfüllung seines Lebens im Botanisieren und der darstellenden Wiedergabe der dabei gewonnenen Erkenntnisse. Ihm wird die Bedeutung einer breiten Öffentlichswirksamkeit nicht bewusst gewesen sein, ansonsten hätte er auch darin seine Beziehungen stärker spielen lassen. Der Gedanke an damit verschenkten späteren Ruhm, wie ihn heute sein Werkverbundener Rupp bezieht, wird ihm nicht gekommen sein.
Das Botanisieren und besonders die Anfertigung der Pflanzenaquarelle, die über bis zu mehrere Tage beanspruchte, waren besonders zeitaufwendig. So konnten ein stattlicher Preis pro Blatt bis 1 Taler auch nicht verwundern. Das Abo-System brachte zudem den Vorteil, einer dauerhaft fließenden Geldquelle, jedenfalls theoretisch. Bei dem sich ergebenden Pensum, kann man davon ausgehen, dass die Zeit zum Praktizieren als Arzt hinter jener für seine Lieblingsbeschäftigung zurückstehen musste. Der Wert aus botanischer Sicht ist bei jenen Blättern besonders groß, wo er Zeitpunkt und Ort des Fundes angegeben hat, und das tat er in den meisten Fällen. Damit haben wir dann Angaben eines wirklichen frühen Inventars. Das von Tiemeroth gemalte umfassende Herbarium des 18. Jahrhunderts stellt in diesem Sinne die erste Sammlung von weitgehend naturgetreu wiedergegeben und verorteten Pflanzen für Thüringen dar. Seine Bedeutung ist epoche- und maßstabbildend und bis heute noch nicht wirklich erfaßt. Gewöhnlich hat Tiemeroth auf der Rückseite eines Blattes unten einen Block mit Angaben zur dargestellten Pflanze beigefügt; wie gesagt, oft mit Fundort und -zeit. Wenn auch sein Signum angegeben ist mit Datum und Ort der Bildanfertigung, dann enthält sie meist auch seine Profession „Med. et Pr.“, also praktischer Arzt, gefolgt vom Entstehungsort, entweder Erfurt (1729-33), Jena (1733-35), Potsdam (1737) oder Arnstadt (1735-61) (Mey 2011). Vereinzelt gibt es seinen Namen verkürzt mit „Timroth“ an.
Das Privatleben Tiemeroths d.J. bleibt bis heute gleichwohl rätselhaft. In der Ehe mit der 13 Jahre älteren aus Salza (Bad Langensalza) gebürtigen Anna Caterina, geb. Stollberg, haben wir ein für die damalige Zeit noch ungewöhlicheres Altersverhältnis zwischen Mann und Frau vor uns, als es uns heute erscheint. Es lässt eher an eine haushälterische Bestimmung denken oder an das Eingehen eines von der öffentlichen Meinung erwarteten Standes für einen Arzt und der damit vermiedener Nachrede. Die Ehe blieb kinderlos, was auf die Arnstädter Zeit bezogen auch nicht anders hätte sein können, denn als Tiemeroth dort hin ging, war seine Frau bereits 50! Es bleiben die gründliche Erforschung des umfangreichen Nachlasses Tiemeroths in den musealen Sammlungsbeständen in Würzburg und Rudolstadt, verbunden mit der Hoffnung, dass die verschollene dritte große Sammlung doch noch auftritt bzw. weitere Blätter zu Tage treten, sowie dass weitere archivalische Funde gemacht werden können. Werke / Veröffentlichungen / Verbleib
Ausstellungen
Quellen / LiteraturMey, Eberhard: Johann Heinrich Tiemeroth der Jüngere (1699-1768): ein thüringischer Botaniker-Arzt und hervorragender Pflanzenmaler. Rudolstädter naturhistorische Schriften Bd. 8, Supplement 9, 2011 |
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Letzte Aktualisierung ( 13. 01. 2017 ) |
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