Seite 1 von 8 phot. D. Tonn Auswahl nach Rote Liste Thüringen (RLT), 5. Fassung, Stand: 10/2010Inhalt EinleitungDie Landeshauptstadt Erfurt verfügt vornehmlich in seinen Randgebieten über ein außergewöhnlich artenreiches Pflanzeninventar. Es handelt sich dabei zumeist um flächenmäßig kleine, auch zerstreute Vorkommen mit nur wenigen Exemplaren einer Art. Darunter lassen sich zudem besonders seltene und in ihrem Bestand bedrohte Arten finden, die unter Schutz stehen, unserer besonderen Beachtung und Pflege bedürfen. Denn viele von ihnen sind ausgesprochene Kulturfolger des Menschen, die sich erst mit dessen Bewirtschaftung von Wald und Flur eingestellt und angesiedelt haben. Sie gehen zurück oder sterben aus, wenn die für sie günstigen Existenzbedingungen unter dem durchgreifenden Wandel in den Verhältnissen ausbleiben. Die moderne Entwicklung in der Land- und Waldbewirtschaftung hat es mit sich gebracht, dass viele Arten immer weiter zurückgedrängt wurden oder bereits verschwunden sind. Dieser Prozess des Artensterbens und dramatischen Rückgangs der Artenvielfalt vollzieht sich gegenwärtig unverändert rasant weiter und spiegelt sich in den Beobachtungen deutlich wider. Das gilt speziell auch für Erfurt und dem hier besonders hohen Zivilisationsdruck, den eine Großstadt mit über 200.000 Einwohnern nun mal ausübt. Immer mehr offene natürliche bzw. naturnahe Flächen gehen bei die Ausweitung von Wohn-, Gewerbe- oder Verkehrsflächen dauerhaft verloren. Daher geht es verstärkt um die Erhaltung und Entwicklung der bestehenden bedrohten Pflanzenbestände bzw. die Schaffung von Biotopen mit neuen Möglichkeiten der (Wieder-)Ansiedlung von Arten. Es gibt bereits deutschlandweit vielfältige Aktivitäten in Projekten für die Artenvielfalt, deren Akzeptenz und Anwendung ist jedoch vielfach noch unzureichend. Auch in Erfurt vermisst man beim Gang über die riesigen Ackerflächen etwa die Anlage von Ackerstreifen, die Wildkräutern wieder Platz bieten. Dort ist man andernorts bereits viel weiter. Anliegen des Beitrags ist es, die Kenntnis gefährdeter Arten sowie Artenschutz und -vielfalt zu fördern. Die RLT erscheint etwa alle 10 Jahre in einer aktualisierten Fassung, in die erforderliche, aus dem landesweiten Monitoring (Beobachtungen) resultierende Veränderungen einfließen. Die Einschätzung, ob und in welchem Grad einer Pflanzenart dabei eine Gefährdung zukommt, wird von einem Fachgremium getroffen aus Pflanzenkundlern, Botanikern, Experten aus dem Pflanzen- und Naturschutz. Anspruch ist ein vergleichbarer Bewertungsmaßstab aller Roten Listen zwischen den Bundesländern. Mit der Erstellung der Roten Liste der Farn- und Blütenpflanzen Thüringens wurde 1980 durch den verdienstvollen Rauschert begonnen, der die erste Liste erstellte. Die in Thüringen von 1990 bis 2001 sehr intensiv betriebene Kartierung der Farn- und Blütenpflanzen auf der Basis von Rasterfeldern (Messtischblatt-Viertelquadranten) schuf die grundlegende umfassende Datenbasis für fast alle hier vorkommenden Arten und die sich anschließenden Arbeiten im Artenschutzbereich. Die hier zugrunde liegende fünfte Fassung der RLT wurde nach der vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) entwickelten Methodik wesentlich neu erstellt. Das Augenmerk richtete sich dabei grundsätzlich nur auf einheimische, archaeophytische und fest eingebürgerte Sippen. Neophyten (nach 1500 eingewanderte Neubürger unserer Flora) fanden darüber hinaus nur Aufnahme, wenn sie inzwischen fest eingebürgert waren. „Gegenwärtig sind von den 1.894 für Thüringen erfassten Farnen und Blütenpflanzen insgesamt 801 (42,3 %) ausgestorben, verschollen oder in unterschiedlich starkem Maße gefährdet.“ Der hohe Anteil von Gefährdung macht die kritische Situation um unsere heimische Artenvielfalt jedem sehr deutlich. Für das Stadtgebiet von Erfurt wird nachfolgend eine relativ weitgehende Auswahl von Pflanzenarten, die in der aktuellen RLT verzeichnet sind, genannt und teilweise näher vorgestellt. Eigene Nachweise von Verfasser enthalten einen kurzen tabellarischen Pflanzen-Steckbrief und Fotografien vom FO. Darüber hinaus werden gefährdete Pflanzenarten genannt, die zwar nicht selbst, jedoch seit etwa Mitte der 1990er Jahren im Rahmen floristischer Erforschungen des Gebietes durch Andere nachgewiesen werden konnten. Ihr heutiger Bestand ist nicht mehr gesichert, sodass auf nähere Angaben zu diesen Arten verzichtet wurde. Zu den Angaben sind dabei folgende Hinweise zu beachten: - Artauswahl
Bei den gefährdeten Arten, die durch eigene Beobachtung nachgewiesen werden konnten, kann nicht geklärt werden, ob es sich an dem jeweiligen FO um einen Bestand natürlichen oder künstlichen, durch menschliche Hand (Anpflanzung, Verwilderung) eingebrachten, Ursprungs handelt. Es wurde und wird auch heute versucht, verschwundene Arten an ihren bisherigen Wuchsorten und nicht nur dort wieder anzusiedeln. Als Beispiel seien seltene Orchideenarten angeführt, die oftmals ohne Abstimmung mit den Naturschutzbehörden (unerlaubt) angesalbt werden. Einige verschwundene Arten werden wieder über Saatmischungen angeboten und treten durch Verwilderung wider Erwarten in Erscheinung, bestes Beispiel: Kornrade. Falls sich in dieser Hinsicht eine Vermutung ergeben hat, dann enthält der Steckbrief der jeweiligen angeführten Gefährdungsart eine entsprechende Anmerkung. Zur Empfindlichkeit eines Bestandes am FO wird als Beispiel auf den Verlust von Schwarzes Bilsenkraut hingewiesen, der bei einem späteren Ortsbesuch festgestellt werden musste.
GefährdungDer Gefährdungsgrad einer Art kann sich unterscheiden, ob er für Thüringen insgesamt oder nur für einen kleinen Teil wie Erfurt angegeben wird. Für die Mehrheit der aufgeführten Arten ist eine höhere Gefährdung in Erfurt zu konstatieren als in Thüringen, etwa bei den selteneren Orchideen. Umgekehrt gibt es aber auch wenige Arten, die in Erfurt einen Verbreitungsschwerpunkt besitzen, wie Gelber Hornmohn oder das deutschlandweit nur in Erfurt dauerhaft nachgewiesene Steppen-Stiefmütterchen und hier eine geringere Gefährdung aufweisen als landesweit. Um dies zu berücksichtigen wird der Gefährdung gemäß RLT eine weitere, Erfurt bezogene, hinzugefügt. Sie basiert auf den eigenen, teils mehrjährigen Beobachtungen und Erfahrungen, dem Zustand und der Einschätzung einer künftigen Dauerhaftigkeit des Bestandes und ist stark subjektiv beeinflusst. Eine Beobachtung und Erkennung aller vorkommenden Arten zu den Zeiten ihres Auftretens (jahrelanges Ausbleiben mancher Art! inbegriffen) und an allen Wuchsorten konnte verständlicherweise nicht erreicht werden und war auch nicht das Ziel. Die Beurteilung der Gefährdung der heimischen Farn- und Blütenpflanzen sowie deren bisherige und künftige Entwicklung ist recht schwierig und komplex. Die Einschätzungen der Botaniker und Naturkunde-Experten können dabei schon auseinander gehen in der Empfehlung der Gefährdungsgrade. Es stellt sich immer wieder die Frage, welche Einflüsse tatsächlich wesentlich bedrohlich sind für den Bestandserhalt der Art. Dabei sind natürlich bedingte Bestandsschwankungen und -rückgänge zu berücksichtigen, wie z.B. bei einige Orchideen, deren Blüte jahrelang ausbleiben kann. Eine Vorhersage kann sich nur im Rahmen zu erwartender Dauerhaftigkeit der existenzbietenden Biotope bewegen. Gesicherte Aussagen zu künftigen Entwicklungen der Standorte wird niemand geben können. Dagegen sprechen Negativerfahrungen bei Verlusten von teils jahrelang aufwändig gepflegten und betreuten Vorkommen. Für gegenwärtige Gefährdung von Pflanzenarten sind folgende Faktoren bzw. Ursachen anzusehen: - Beeinträchtigung, Zerstörung oder Vernichtung ihrer Biotope. - Einfluss dominierender intensiver Landwirtschaft mit immer intensiveren Bewirtschaftungsmethoden mit Herbizideinträgen, Düngung, Melioration, Monokulturen, Saatgutreinigung, zu tiefe Umpflügung für Ackerwildkräuter. - zu geringer Anteil extensiver Bewirtschaftung. Es gibt positive Beispiele mit der Beweidung auf dem Drosselberg und seinen Hängen, die aber nur Ausnahmen bleiben. - Verbuschung und Aufforstung bedeuten das allmähliche Ausbleiben von Offenlandarten. Ebenso ist die weitere Versiegelung und Bebauung ein für Erfurt sehr prägender Faktor. - monotones Stadtgrün statt Wildblumen-Vielfalt. In unseren Auffassungen, wie private oder öffentliche Flächen zu gestalten seien, wird dem grünen Rasen immer noch der Vorzug gegeben, der noch dazu in den trockenen Sommern vernichtend kurz gemäht wird. Auf Orchideen, die sich in die Anlagen verirrt haben, z.B. Bleiches Waldvöglein, wird keine Rücksicht genommen. Sie kommen umgehend unters Messer und weg damit. - wenn es darauf ankommt, wird dem Natur- und Artenschutz nicht die gebührende Achtung gewährt. Jüngstes Beispiel Erfurt: der sog. Bastionskronenpfad, dem ein Gehölzbereich im GLB Petersberg geopfert werden soll und sich die Stadt ihrer naturschutzrechtlichen Verantwortung leichtfertig entledigt. Ein Pfad am falschen Ort, der lediglich noch mehr Touristen locken soll. - zu geringe Akzeptanz und Nutzung bei der Umsetzung der auch in Thüringen bestehenden Förderprogramme zur Schaffung von Ackerrandstreifen, wo auf wenigen Metern Feldrand auf Düngung und Herbizideinsatz verzichtet und das Saatgut auch dünner eingebracht wird, und weiteren Saumbiotopen. Die vorherrschende Praxis im Stadtgebiet von Erfurt sieht Äcker bis an die Grenzen maximal bis auf den letzten Zentimeter ausgedehnt. Selbst Wege, sogar ausgewiesene Wanderwege werden untergepflügt und der Ackerfläche einverleibt. Dabei ließe sich hier mit wenig viel für eine bessere Biodiversität tun. Säume und Randstreifen sind oft letzte mögliche wertvolle Rückzugsräume seltener Pflanzenarten, die auf den Ackersteppen kaum noch eine Existenzmöglichkeit finden. Insekten könnten wieder verstärkt Nahrung finden: Nektar, Pollen, Samen und andere Tiere davon profitieren. Außerdem bieten Ackerrandstreifen, die ab September nicht mehr gemäht werden, vielen Tieren Deckung und Nistmöglichkeit, relative Sicherheit vor Feldarbeiten (Düngung, Ernte, …) - Umwandlung von extensiv in intensiv bewirtschaftete Flächen. Beispiel Erfurt: ein Vorkommen der Orchidee Weiße Waldhyazinthe (RLT 3) hatte sich aus ein niederwaldähnlichen Hangbereich auf eine angrenzende Wiese mit den größten, blütenreichsten Exemplaren in Erfurt ausgedehnt. Mit dem Umbruch der Wiese bis an den äußersten Waldrand und der Umwandlung in Ackerland wurde dieses Biotop zerstört und der Bestand vernichtet. Daraus lässt sich ein weiteres Problem ausmachen: - mangelnde Kommunikation zwischen Naturschutzbehörden und Flächeneigentümer / - bewirtschafter. Weitere Beispiele Erfurt: unnötige Zerstörung eines der wertvollsten Biotope in Erfurt auf dem Standortübungsplatz und damit Vernichtung eines Standortes mehrerer Orchideenarten, wobei hier auch eine demonstrativ vorgeführte Geringschätzung des Naturschutzes eine Rolle zu spielen scheint. Im Zuge einer Einzelbaumfällung, zu der ein Harvester eine Schneise durch ein wertvolles Orchideenbiotop legte, wurde der ohnehin kleine Bestand von Müllers Stendelwurz (zwar nicht auf der RLT, jedoch vermutlich das einzige Vorkommen in Erfurt, das noch dazu kaum dauerhafte Bestandsaussichten besitzt) teilweise vernichtet. Bei diesen Vorkommnissen ist zu berücksichtigen, dass alle Orchideenvorkommen genau kartiert sind und auch den im Forst Beschäftigten bekannt gegeben sein müssten. - unzureichende personelle Ausstattung des Naturschutzes. Die Mitarbeiter des Naturschutzamtes der Stadt sind mit Pflichtaufgaben z.B. für Genehmigungsverfahren anscheinend so beansprucht, dass darüber hinaus, nicht viel für den Naturschutz selbst geleistet werden kann. So sieht jedenfalls die Einschätzung aus, die der Naturbetrachter gewinnen muss. Beispiel: eine kleine Gruppe von etwa 10 jungen Männern ist für die Pflege der fast 50 GLB der Stadt zuständig. Das kann nicht reichen, vieles bleibt „Stückwerk“. - radikaler Waldumbau vom naturnahen in einen „Industriewald“. Die Anlage kleinteiliger Parzellen durch ein dichtes System von Rückegassen für den Einsatz von tonnenschweren Harvestern zum Fällen und Zurichten der Bäume, bedeutet eine erhebliche Zerstörung und dauerhafte Verdichtung von Waldböden, auf denen gefährdete Waldpflanzen auf lange Zeit nicht mehr existieren können. Beispiel Erfurt: umfassend in den umliegenden Waldungen wie Steigerwald, Willroder Forst. - Waldumbau und -bewirtschaftung führt teils zu ungewollten, negativen Ergebnissen. Unbestritten ist zwar, dass durch schonende Baumentnahme mehr Licht in den überdunkelten Wald kommen kann, wovon viele lichtbedürftige Pflanzen profitieren. Dabei spielen aber der jeweilige Standort und der Umfang der Fällungen eine wesentliche Rolle. Stellenweise kann es auf den entstehenden Freiflächen zur rasanten Ausbildung von hohen Grasgesellschaften kommen, die konkurrenzschwachen Arten keine Chance lassen. Beispiel Erfurt: Starke Beeinträchtigung eines Vorkommens von Blasses Knabenkraut (RLT 2) Im Rahmen des Waldumbaus wurden mehrere Kleinparzellen mit Fichtenwald gerodet, um anscheinend mehr Mischwald Platz zu bieten. Dabei wurden zwei größere Vorkommen von Violette Stendelwurz zerstört. Die Art hat zwar in Erfurt einen Verbreitungsschwerpunkt, ist aber in anderen Regionen gefährdet.
- Befund
Neben der Anzahl der FO, werden ggf. Angaben zur Bestandsgröße (meist Abschätzung) und Besonderheiten gemacht. Auf genaue Lokalisierung der FO wird außer bei Bäumen aus vorrangigem Schutzanliegen der teils sehr empfindlichen Stellen verzichtet. Um Verständnis dafür wird gebeten.
- Abkürzungen
RLT 0 Ausgestorben oder verschollen RLT 1 Vom Aussterben bedroht RLT 2 Stark gefährdet RLT 3 Gefährdet RLT R Extrem selten |