Graureiher in Erfurt
Geschrieben von Detlef Tonn   
13. 10. 2016
phot. D. Tonn

Die eleganten Schreitvögel sind auch in der Landeshauptstadt heimisch
Graureiher in der Gera
Graureiher in der Gera, ca. 100m n Straße der Nationen, gegenüber
der Einmündung Mühlgraben

Gelegentlich kann man in der thüringischen Metropole dem Graureiher, auch Fischreiher (Ardea cinerea) begegnen. Diese besonderen Momente sind zwar nicht alltäglich, aber auch nicht so selten wie etwa beim Eisvogel, der sich kaum zeigt. Davon künden auch einige eingestellte Fotos im Netz, die den großen Vogel in seinem natürlichen Umfeld an den Wasserläufen der Gera und ihren Seitenarmen, wie Breit-, Berg- und Walkstrom, aber auch am Flutgraben zeigen. Hier findet er sich ein, um auf Fischjagd zu gehen. Die Gewässer bieten ihm dazu beste Bedingungen. Die Wasserqualität hat sich seit den 1990er Jahren erheblich verbessert, dafür spricht auch seine Anwesenheit, und der Fischbesatz ist reichlich, z.B. an Forelle. Ideal scheinen die zahlreichen seichten Stellen zu sein, wo sich der Vogel direkt im Wasser in Jagdposition bringen kann. Oder er nimmt eine etwas erhöhte Position über dem Wasser ein (wie besagter Eisvogel), so etwa an der Schildchensmühle über dem Breitstrom. Die Lichtbrechung stellt dabei für beide kein Problem dar, ihre Beuteziel zu verfehlen. Ein entsprechendes Korrektursystem ist ihnen eigen.

Es werden also auch die geschäftigen, besucherstarken Innenstadtbereiche aufgesucht, woraus eine Anpassung an Menschen spricht, die sich unter den Bedingungen des Vogelschutzes über Jahre entwickelt hat. So ist seine Anwesenheit in der Großstadt inzwischen auch nicht mehr ungewöhnlich, auch wenn es von vielen Beobachtern noch so empfunden wird.
Zu einer Begegnung der besonderen Art kann es aber dennoch kommen, wie etwa im morgentlichen Berufsverkehr selbst erlebt. Auf der Talstraße im Ampelrückstau der Bergstraße schwebte ein Graureiher in Höhe der Talbrücke elegant im Tiefflug der wartenden Doppelschlange aus Blech entgegen. Und schon war der Morgen aus seinem alltäglichen Gleichmaß herausgehoben.

Der Graureiher beeindruckt den Betrachter durch seine grazile Gestalt, etwa so wie bei einem Storch, wenn man ihm unbefangen, frei von Konkurrenz- oder Neidgedanken gegenübertritt. Meist ergibt sich die Gelegenheit plötzlich und unvermittelt, der Vogel steht einfach da, hochkonzentriert seine Augen aufs Wasser gerichtet, fast regungslos und starr, so dass man glaubt, sich erst vergewissern zu müssen, ob es sich um eine Plastik oder ein lebendes Wesen handelt. Sein Fluchtverhalten hat sich auch moderat an die städtischen Verhältnisse angepasst, er sieht im Menschen nicht mehr den unbedingten Feind und lässt ihn bisweilen dichter herankommen ehe er abhebt.

Spannungsfrei wird das Verhältnis zwischen Mensch und Fischreiher auch heute nicht sein, denkt man an die Interessen der Fischzüchter und Anglervereine, die Jungfische oder Fischbrut ausgebracht haben, um dann später den eigenen Fangerfolg einzufahren.
Herbert Grimm, der Erfurter Ornithologe und Experte am Erfurter Naturkundemuseum belegte in einem Artikel aus den beginnenden 1990er Jahren das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichen und naturerhaltenden Interessen in vergangenen Zeiten: „Schon in der „Großen Mater“ zu Erfurt aus dem Jahr 1505 und später bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts wird erwähnt, dass Graureiher am nun längst trocken liegenden Vieselbacher Teich geschossen worden sind. Einerseits zum Zwecke des Verzehrs, aber ganz besonders, um ihn sich als Konkurrenten um die begehrten Fische vom Hals zu halten. So erhielt z.B. der Teichmeister Georg Schmid zu Vieselbach am 21. Februar 1596 'sein gebuerendt tranckgelt', weil er 'Einen fisch Rachen' schoss.“ Es wurden Abschussprämien gezahlt.

Grimm verweist weiter auf die wichtige Rolle im Ökosystem, den die Vögel spielen: “An Fischteichen, wo Nahrung in Hülle und Fülle schnabelgerecht zur Verfügung steht, ernährt sich der interessante Schreitvogel tatsächlich in erster Linie von Fischen. Erbeutet werden vor allem kränkelnde Tiere, die in ihrer Bewegungsfähigkeit behindert, und dadurch leichter zu erbeuten sind.“ Hierin leistet der Vogel also auch einen  nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Gesunderhaltung der Fischbestände.
Der Graureiher ist zudem anpassungsfähig und „keinesfalls, wie landläufig geglaubt, auf Fischnahrung angewiesen.“ Dies ist besonders unter dem Aspekt geschädigter und verunreinigter Gewässer zu sehen, wie sie Anfang der 1990er Jahre (noch) real bestanden: „Die größte Brutkolonie in Mitteldeutschland befindet sich auf einer Saaleinsel bei Merseburg. Niemand, der den Zustand der Saale in diesem Bereich kennt [heute auch deutlich besser], würde auf die Idee kommen, dass die Reiher sich dort von Fisch ernähren. Die Vögel verbringen die meiste Zeit auf den Feldern, wo sie - wie Untersuchungen zeigten - in großer Zahl Feldmäuse erbeuten.“ Auch da ein positiver Einfluss im Interesse des Menschen.

Gera. Höhe Einmündung Mühlgraben, 02.05.2016:

Konzentriert auf die Bewegungen im Wasser
Konzentriert auf die Bewegungen im Wasser; gibt sich als Schreitvogel
zu erkennen
Die Körperstarre wird gelockert
Die Körperstarre wird gelockert: der Kopf heruntergenommen, das linke
Stelzenbein angewinkelt

Jörg Lummitsch, Leiter des Amtes Umwelt- und Naturschutz Erfurt, äußerte sich 2010 dazu in der TA: "Zu zwei Dritteln ernähren sie sich von Mäusen, Engerlingen und anderem Kleingetier. Nur ein Drittel ihres Speiseplans besteht aus Fisch." Das unterscheide sie von den Kormoranen, die sich komplett von Fisch ernähren und bei Fischzüchtern und Anglern besonders unbeliebt sind.
„Graureiher sehe man im Winter oft vor den Toren der Stadt, wo sie auf Ackerflächen nach Mäusen suchen. Auch frischgepflügte Furchen ziehen die eleganten Vögel an. Im Frühjahr und Sommer bevölkern sie Bach- und Flussläufe.“
Nach Lummitsch (2010) gibt einen kleinen Bestand an Graureihern im Stadtgebiet, von geschätzt zehn bis zwölf Brutpaaren. Sie gehören zur heimischen Fauna.

  • Gera. Am Nettelbeckufer, etwa Höhe Mitte zwischen Nordbad und Karlstraße, 26.03.2017
Graureiher am Nettelbeckufer
Graureiher, konzentriert trotz vorbeiziehendem Entenpaar
Graureiher am Nettelbeckufer
Graureiher fixierend

„Graureiher brüten hoch auf Laub- und Nadelbäumen. Einzelnester sind selten. Meistens sind diese Anfänge späterer, größerer Brutkolonien. Die uns am nächsten gelegene [größere] Graureiherkolonie befindet sich südlich von Weimar. Dort brüten etwa 70 Paare.“ So Grimm vor 25 Jahren. Beherzigen sollte man auch seinen Aufforderung nach Deeskalation, den Graureiher in einem vernünftigen Umfang zu tolerieren und nicht gleich zu radikalen Maßnahmen wie dem Abschuss zu greifen.

Bei den bisherigen Begegnungen mit dem Graureiher im Erfurter Stadtgebiet, wo er gewöhlich auf Nahrungssuche angetroffen wurde, trat er bis auf eine Ausnahme (siehe Gispersleben 29.04.2017) allein auf.

  • Flutgraben 23./24.04.2017
Graureiher, Flutgraben, nahe der Bahnbrücke am “Venushügel“
Graureiher, Flutgraben, nahe der Bahnbrücke am “Venushügel“,
23.04.2017
Graureiher, Flutgraben, nahe der Hohenzollernbrücke
Graureiher, Flutgraben, nahe der Hohenzollernbrücke, 23.04.2017
Graureiher, Flutgraben, Espachpromenade
Graureiher, Flutgraben,  Espachpromenade, zwischen
Hohenzollernbrücke und Höhe Zugang Espachpark, 24.04.2017

Nahe der Insel hinter dem Papierwehr, Flutgraben rechtes Ufer, 07.05.2017:

Graureiher, Flutgraben, Nahe Insel Papierwehr
Klein gemacht, Hals zusammen gelegt, am S-Ufer
Graureiher, Flutgraben, Nahe Insel Papierwehr
Etwas entdeck, fixiert, Körper nach unten genommen

Flutgraben, linkes Ufer, unterhalb Friedrichsteg 14.05.2017:

Graureiher, Flutgraben, linkes Ufer, unterhalb Friedrichsteg
Graureiher, nach kurzem Ausweichmanöver, von Krähenvogel
bedräng, direkt unterhalb vom Friedrichsteg gelandet.
Graureiher, Flutgraben, linkes Ufer, unterhalb Friedrichsteg
Seitenblick, ob genügend Abstand zum lästigen Nachbarn besteht;
gut zu sehen die Halsmusterung
Graureiher, linkes Ufer, unterhalb Friedrichsteg
Graureiher, auf einem Bein, für das Gleichgewicht kein Problem
  • Gispersleben

Erstmals konnten zwei Graureiher in unmittelbarer Nähe zueinander beobachtet werden. Einer zog jedoch gleich davon, während der zweite sich klein machend am Ufer zurückblieb.
Park, nahe Brücke Gubener Str., Gera O-Ufer, 29.04.2017:

Ruheposition zusammengekauert
Ruheposition zusammengekauert
Hals zusammengelegt, klein gemacht
Hals zusammengelegt, klein gemacht

Höhe n Bereich KGA Ried, Gera O-Ufer, 06.05.17:

Aufrechte Position - größter Überblick, am O-Ufer
Aufrechte Position - größter Überblick, am O-Ufer
  • Kühnhausen, Gera 29.04.2017
durchs seichte Gerawasser watend
Durchs seichte Gerawasser watend
aufmerksam beobachtend
Aufmerksam beobachtend
  • Neue Mühle, Wehr 01.05.2017
Ansicht von vorn (Schlösserbrücke)
Ansicht von vorn (Schlösserbrücke)
Ansicht von der Seite (Barfüßerstraße)
Ansicht von der Seite (Barfüßerstraße)

Das Wehr an der Neuen Mühle hat er ausgewählt, um auf Fischfang zu gehen. Da steht er minutenlang fast regungslos, selten durch minimale Bewegung wie Schlucken unterbrochen. Für die zahlreichen Passanten, die von der nahen Schlösserbrücke oder der Barfüßerstraße auf den Vogel aufmerksam geworden sind, mag er wie ein Präparat erscheinen. Nach einem Handyfoto ist bei den meisten die Aufmerksamkeit erschöpft, zu längerer Beobachtung fehlt die Ausdauer oder Zeit. Dabei kommt das Interessanteste erst noch, wenn er sein Jagd- und Fanggeschick offenbart.
Sein Standpunkt ist wohl gewählt, aber ungewöhnlich erscheinend. An reichlich Publikum inzwischen gewöhnt, bleibt er für längere Zeit an diesem Platz und lässt sich auch von Straßenbahn oder gar einer über die Brücke ziehenden Bläsergruppe nicht vertreiben. Er ist vom umgebenden Wasserrauschen gut gegen andere Störgeräusche abgeschirmt. Zu seinen Seiten schießen die Gera-Wasser am Überlauf hinunter. Er steht auf stark abschüssigem Mauerwerk erstaunlich sicher. Kurz vollzieht der Vogel einen Positionswechsel zur Mitte hin mit einem seitlichen durch Flügelschlag unterstützten Sprung, kehrt aber recht bald wieder zum ersten Standort zurück.
Nachdem weitere Minuten verstrichen sind, geht es blitzschnell zu. Ein zielgerichteter Sturz ins Wasser, und mit einer stattlichen Regenbogenforelle im Schnabel geht es hinauf auf die Wehrmauer. Dort wendet er sich ab, legt sich den Fisch zurecht, um ihn dann in seinem schlanken Hals verschwinden zu lassen. Ein erfolgreicher Jagdabschluss und effektiv zugleich bei 100% Erfolgsquote, ein Fisch bei einem Versuch. Das spricht für die Jagdstrategie und den Graureiher. Ein kurzes Schütteln und Innehalten, dann nimmt er erneut seinen Jagdbeobachtungsplatz ein, auf einen neuen Versuch.

Seitenprofil
Seitenprofil
Vor herabstürzendem Wasser
Vor herabstürzendem Wasser
Vorgebeugt
Vorgebeugt
Fang wird zurechtgelegt
Jagderfolg, eine stattliche Regenbogenforelle wird zum Verschlucken
zurechtgelegt
Fang zum Hinunterschlucken bereit
Fertig zum Hinunterschlucken
Die Forelle ist geschluckt
Die Forelle ist geschluckt
Durchschütteln
Durchschütteln
Kurze Verdauungspause
Kurze Verdauungspause
  • Talstraße, unterhalb Gera-Brücke, Gefälle 01.05.2017
Vor der Gefällestrecke
Vor der Gefällestrecke
  • Bischleben, unterhalb der Bahnbrücke über die Gera, zwischen Wasserweg und Sportplatz (Fotos vom 22.04.2018). Während der Beobachtung vom linken Geraufer und einer vorsichtigen Annäherung, entfernte sich der Graureiher zunächst von seinem Platz im seichten Wasser der Gera auf einen Pfeilersockel und dann an das gegenüberliegende Ufer.
Unterhalb der Bahnbrücke Bischleben
Unterhalb der Bahnbrücke Bischleben, Blick in Strömungsrichtung.
Zwischenstop beim Rückzug auf einem Pfeilersockel
Zwischenstop beim Rückzug auf einem Pfeilersockel.
  • Der Graureiher konnte zudem des Öfteren in Gispersleben am Mühlgraben aus unmittelbarer Nähe von der Brücke Zittauer Straße zum Gewerbegebiet aus beobachtet werden. Und dies vor den Baumaßnahmen im Zuge der Buga21. Seine dortige wiederholte Anwesenheit spricht für einen lohnenden Fischbesatz.
  • Neben den Fließgewässern hat sich der Graureiher auch am stehenden Gewässer, wie dem kleinen angelegten Teich im Parkbereich des LVZ an der Kranichfelder Straße, Höhe Tram-Haltestelle LVZ, eingefunden (Fotos vom 31.05.2019). Dort findet er die nötige Ruhe, abgesehen von Störungen durch andere Wasservögel, etwa Enten und Blessrallen, mit denen er das durch einen Schilf- und Gebüschgürtel abgeschirmte Kleingewässer teilt..
Beobachtungsposten am nördlichen Teichufer
Beobachtungsposten am nördlichen Teichufer, durch hohes Schilf gut abgeschirmt .
Der Kopf ist eingezogen
Der Kopf ist eingezogen, der Graureiher fühlt sich sicher.
Literatur | Quellen

Grimm, Herbert: Grazile Schönheiten, die meist in Kolonien leben. Reihe „Schätze aus dem Erfurter Naturkundemuseum“. In: TA, Anfang 1990er Jahre

Lummitsch, Jörg: Graureiher gehören zur heimischen Fauna. In: TA v. 15.04.2010

Letzte Aktualisierung ( 04. 06. 2019 )